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"Dieser Untersuchungsausschuß ist kein Gericht oder Tribunal. Dafür sind andere Leute zuständig. Wir sind nur hier um die genaueren Umstände des Vorfalles zu erfahren, ein wenig Licht in die Sache zu bringen. Unser Gutachten wird den weiteren Verlauf der Untersuchung jedoch stark beeinflussen. Haben Sie das so weit verstanden?"
"Jawohl, Sir."
"Gut, dann erzählen Sie uns mal was passiert ist. Ihre Sicht der Dinge - aber bleiben Sie besser bei der Wahrheit!"

Er schluckte trocken, räusperte sich und nahm einen Schluck Wasser bevor er wieder zu sprechen begann. Seine Stimme zitterte bei den ersten Worten, bis sie zu ihrer gewohnten Stärke zurück fand.
"Es war der 26. Juli. Ein heißer, schwüler Tag. Wie die letzten Tage üblich, war es ziemlich ruhig. Kaum was los, das Warten zerrte schon lange an unseren Nerven. Zugegeben, es machte uns ein wenig aggressiv, aber das war doch nicht ungewöhnlich für diese Zeit." Er zögerte für einen Moment, und erst auf eine Geste aus der Kommission hin, sprach er weiter.
"Plötzlich waren sie da. Keiner konnte sagen woher und warum, ich schätze wir waren gar nicht wirklich darauf eingestellt, dass doch noch etwas passieren würde. Zu Beginn war es kein Problem sie in Schach zu halten, sie ruhig zu stellen. Wir sind ...waren ja alle nicht neu in dem Job.", er nahm wieder einen Schluck Wasser und als er weiter sprach, schienen seine Augen verschleiert. Vor seinem innen Augen spielten sich wieder die Ereignisse des besagten Momentes ab. Sein Gesicht versteinerte während er weiter sprach zusehends. "Für viele ist es eine ..niedere Arbeit im Elektrohandel tätig zu sein. Ich kenne aber auch Leute, die zugeben, sie würden mit Kunden nicht klar kommen. Für mich war das nie eine große Sache ... wäre es an diesem Tag nicht so verdammt schwül gewesen, es wäre nie so weit gekommen. Diese Situation wäre nie eskaliert!" Die letzen Worte schrie er hysterisch.

"He! Beruhigen Sie sich. Holen sie tief Luft und fahren Sie dann fort.", der Vorsitzende der Kommission schien nicht wirklich verärgert zu sein. Er hatte die Atteste über die ungewöhnliche Stressituation gelesen, in der sich der junge Mann und seine Kameraden befunden hatten. Nach einigen stillen Minuten hatte sich die Situation wieder beruhigt und der Bericht des Verkaufsberaters ging weiter. Sein Tonfall war ruhiger und sachlicher, als wollte er damit jede persönliche Verbindung zu den folgenden Schilderungen leugnen.

"Wie gesagt, es war sehr warum und drückend schwül. Die Leute warteten und wurden plötzlich unruhig. Es kippte von einem Moment zum anderen, sie wurden zu einem reissenden Mob. Ich konnte den entsetzten Schrei eines Kollegen hören, als sie plötzlich über ihn herfielen. Es war ein kurzer, spitzer Schrei des Entsetzens, der einfach in einem Gurgeln erstarb, so schnell wie er gekommen war. Das Gurgeln seines Blutes aus seiner zerfetzten Kehle... Wir konnten die Kunden nicht mehr ruhig halten, sie wollten nicht mehr warten bis sie dran waren.
Ich hatte von der großen SSV-Unruhe von '63 gelesen und mir war sofort klar, dass das nicht anders begonnen haben konnte. Der Geschäftsleiter gab sofort den Notfallcode durch und wir begannen uns zur Wehr zu setzen. Ich wusste, wir hatten keine andere Wahl, wenn wir unser Leben retten wollten. Die Waffen wurden ausgegeben, die ersten Schüsse fielen, die Kunden wurden zu noch größerer Raserei angestachelt. Abteilung für Abteilung fiel. Wir drängten uns zusammen, stiessen Regale als Barrieren um. Es wurde im lauter, stickiger, heißer. Der Geruch von Blut hing in der Luft. Es war der Horror unseres Lebens.
Wir wussten, wir hatten keine Chance...", er schluckte wieder trocken, nahm aber keinen Schluck aus seinem Glas und sprach mit kratziger Stimme weiter, "Wir waren stark dezimiert und in die Enge getrieben, da merkte der Geschäftsführer, dass ich noch keinen Schuss abgegeben hatte und stellte mich zur Rede.
Ich erklärte ihm, ich könne nicht in den Mob schiessen, da sich Frauen und Kinder darunter befanden. Daraufhin bezeichnete er mich als Verräter und hielt mir seine Waffe an die Stirn. Er sagte, wenn ich nicht bei der Verteidigung des Geschäftes und der Leben meiner Kollegen helfen würde, würde er mich fristlos kündigen. Aber ich konnte es einfach nicht. Frauen und Kinder töten? Dafür war ich nicht Verkäufer geworden!
Ich musste mein Diensthemd und mein Namensschild abgeben. Das Schlüsselband riss er mir einfach vom Hals. Ich werde die Blicke meiner Kollegen nie vergessen, sie verfolgen mich in meinen Träumen. Wir wussten, selbst wenn wir das überleben würden, würden wir uns nie wieder sehen."
Er schloß kurz die Augen und räusperte sich. Langsam setzte er das Glas an die Lippen und trank es leer. Als man ihm nachschenken wollte, winkte er ab und sprach weiter. Er wusste, das diese Anhörung so gut wie vorüber war.
"Die Kollegen schoben eines der Regale weit genug auseinander, damit ich mich hindurchquetschen konnte. Dutzende Hände fassten sofort nach mir und zogen mich mitten in diesen tobenden und wirbelnden, sich kreischend windenden Strudel. Der Spalt in den Regalen hatte sich sofort wieder geschlossen, für mich hätte es kein Zurück gegeben, selbst wenn der Mob nicht gewesen wäre.
In dem Moment, in dem die ersten Hände nach mir griffen, fühlte ich nichts. Keine Angst, Panik oder Trauer. Ich wusste ich hatte das richtige getan.
Dass ich nicht gleich tot war oder überhaupt in einem Stück geblieben war, fiel mir erst gar nicht auf. Ich wusste erst selbst nicht was geschah, aber ich wollte dieses Glück nicht überanstrengen. Ich kroch auf allen Vieren zwischen den Beinen der Kunden zum Ausgang. Draußen ließ ich mich an der Glasscheibe nieder und fing einfach nur an zu weinen, vor Erleichterung noch am Leben zu sein.
Kurz darauf hörte ich im Inneren des Laden wieder Schüße fallen. Es dauerte nicht lange und schon kurz darauf waren die Sondereinsatzwagen vor Ort, aber diesen Teil kennen Sie ja aus Ihren eigenen Berichten." Er blieb mit geschlossenen Augen sitzen.

Die Mitglieder der Kommission steckten für einen Moment murmelnd die Köpfe zusammen, danach war nur noch das Geräusch der sich schliessenden Akten und schieben der Stühle zu hören, als sie sich erhoben.
"Abseits des Protokolls, was denken Sie, warum Sie als einziger überlebt haben?", kam die abschliessende Frage des Vorsitzenden.
"Es war das Hemd."

-

Den Zetteln nach, auf denen das verfasst wurde, habe ich das am 26. Juli 2005 geschrieben. Ich glaube, es war ein sehr schwüler und heißer Tag ...den Rest habe ich verdrängt und vergessen...

- BM out -
 

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